Das haben die Jünger Jesu, ja, selbst der Petrus, bitter erfahren, dass sie dem Verführungsgeist dieser Welt, der Sünde und dem Bösen, ohne ihren Herrn nicht standhalten können. Deshalb verheißt ihnen Jesus, dass er seine Jünger nicht als Waisen zurücklassen, sondern ihnen einen anderen Beistand senden wird. Dies geschah zu Pfingsten, 10 Tage nach der Himmelfahrt Jesu. Gott sandte seinen Heiligen Geist und er kam über die versammelte Jüngerschaft – die Kirche Jesu Christi war geboren (Apg. 2). Von Pfingsten bis zum Ende der Zeit und Welt wird der Heilige Geist bei und in der Kirche Jesu Christi sein und bleiben und mit der Taufe kommt er auch über jeden einzelnen Christen (Apg. 2, 38).
Der Heilige Geist erinnert an alles, was Jesus gesagt und für uns getan hat. Er schenkt, stärkt und erhält den Glauben an Jesus als unseren Herrn. Und er verleiht auch die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden – den Geist dieser Welt zu erkennen und abzuweisen (1. Kor. 2, 12; 12, 10; Eph.6, 11 ff.).
Der Geist der Welt spricht in den Zeiten recht unterschiedlich und deshalb wird er zurecht als der „Zeitgeist“ bezeichnet. Da sind heute Sätze zum Allgemeingut geworden, wie:
„Alles ist relativ! Nichts ist absolut. Es gibt keine objektive Wahrheit. Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung sind seine unveräußerlichen Menschenrechte. Alle Gebote, Verbote und Autoritäten stehen dem grundsätzlich entgegen. Sinn des Lebens ist, nach Wohlstand und Glück zu streben. Das Denken und die Vernunft machen den Menschen aus. Existent ist nur, was naturwissenschaftlich gemessen und nachgewiesen werden kann und / oder der gesetzmäßigen menschlichen (mathematischen) Logik entspricht.“
Wer wagt dem in der heutigen Welt noch zu widersprechen?
Nun mag man als Christ, der die Auswüchse dieser Sätze kennt, versucht sein, sie in Bausch und Bogen zu verdammen. Doch die Sätze sind nicht durchgängig falsch. Sie enthalten durchaus Wahrheitsmomente. Deshalb ist es ja oft schwierig, gegen sie zu argumentieren und dafür Akzeptanz zu finden. Die Sätze werden nämlich erst dadurch wirklich falsch und unwahr, ja, antichristlich, wenn sie absolut gesetzt werden. Die größte Verführung ist nicht die platte Unwahrheit, sondern das Vermengen von Wahrheit und Unwahrheit – die Halbwahrheit, die dann als volle Wahrheit und absolut gesetzt wird. Und es ist schon Ironie, wenn die Aussagen „Nichts ist absolut“ und „Es gibt keine objektive Wahrheit“, wenn diese dann als höchste absolute Wahrheit behauptet werden.
Wenden wir uns den einzelnen Sätzen zu:
„Alles ist relativ! Nichts ist absolut. Es gibt keine objektive Wahrheit.“
Diese Feststellungen entsprechen weithin den innerweltlichen Erfahrungswissenschaften, den Naturwissenschaften und den Gesellschaftswissenschaften. Was einmal als unumstößliche wissenschaftliche Wahrheit und Gewissheit galt, wurde und wird über lang oder kurz durch „neue Wahrheiten und Gewissheiten“, überholt.
Antichristlich werden diese Feststellungen, wenn sie auch auf das Verhältnis des Menschen zu Gott übertragen werden. Wie sich Gott uns in der Heilsgeschichte offenbart, uns seine Gebote kund getan und uns seine Gnade und Liebe in seinem Sohn Jesus Christus erwiesen hat, ist eben nicht relativ, nicht nur von begrenzter zeitlicher oder kultureller Dauer und Gültigkeit. Wir haben keine neuen Offenbarungen Gottes mehr zu erwarten oder gar auf eigene neue Erkenntnisse zu setzen, die das bisherige, uns von Gott Gesagte, aufheben oder überholen könnten. Was Gott gesagt und in und durch seinen Sohn getan hat, ist unumstößlich und überzeitlich. Jesus selbst ist die personifizierte Wahrheit. Das hat Jesus auch dem Pilatus gesagt, als dieser zweifelnd fragte „Was ist Wahrheit?“ Nichts Irdisches ist absolut, aber der dreieinige Gott ist es.
Wir hören weiter:
„Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung sind seine unveräußerlichen Menschenrechte.“
Ja, im irdischen Bezug soll der Mensch durchaus das Maß aller Dinge sein. Im Zuge von Weltanschauungen, vom Leben in der Gemeinschaft, in Fragen der Staatsräson, den Gesetzen, der Ökonomie, dem Fortschritt und der Wissenschaft darf der einzelne Mensch nicht „unter die Räder kommen“. Nicht nur das Wohl einer Gemeinschaft, das oft nur vorgeschoben wird, sondern gerade auch das Wohl jedes Einzelnen ist im Blick zu behalten. Und jeder Mensch soll sich auch nach seiner Neigung und seinen Gaben frei entfalten können. Ja, auch das Streben nach Wohlergehen und Glück soll ihm nicht verwehrt sein. Aber dennoch muss es in der gefallenen Welt auch noch Autoritäten geben, die dem Einzelnen etwas ge- und verbieten können, wie Regierungen, Gerichte, Vorgesetzte am Arbeitsplatz, Lehrer, Eltern…
Der antichristliche Zeitgeist wirkt, wenn anarchistisch jede Autorität abgelehnt wird und der Mensch sich auch in seinem Verhältnis zu Gott zum Maß machen will. Wenn der Mensch mit seiner Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung nicht mehr Gott als seinen Herren gelten lassen will. Wenn er meint, sich nicht mehr um Gottes Gebote scheren zu müssen, wenn er allein seinen eigenen Willen leben will – sein eigener Gott sein will. Dabei verkennt er, dass Gott uns seine Gebote nicht gegeben hat, um uns willkürlich und sinnlos zu bevormunden. Die Gebote sollen unser Verhältnis zu Gott festigen und ein gutes Zusammenleben mit unseren Mitmenschen gewährleisten. Sie sind uns von Gott aus Liebe und zur Bewahrung in der gefallenen Welt gegeben. Wer Gottes Gebote vorsätzlich missachtet, der ist Gott ungehorsam, verweigert ihm Anerkennung und Ehre und ist auch ein rücksichtsloser Egoist gegen seine Mitmenschen. Er verwirklicht nicht sich selbst, sondern verfehlt seine ihm von Gott gegebene schöpfungsgemäße Bestimmung. Der Mensch darf und soll ja die Erde erforschen, gestalten, bewirtschaften, kultivieren, sich auch schöpferisch betätigen und in guter liebevoller und dienender Gemeinschaft mit Gott und seinen Mitmenschen leben. Auf diese Weise kann und soll sich jeder nach seinen Gaben und Fähigkeiten positiv selbst verwirklichen und auch nach persönlichem Wohlergehen und Glück streben. Wer aber gottvergessen und zulasten seiner Mitmenschen nur nach persönlichem irdischen Wohlergehen und Glück strebt, der verfehlt das Ziel seines Lebens – das Eingehen ins Reich Gottes.
Weiter ist zu hören:
„Das Denken und die Vernunft machen den Menschen aus.“
Sicher liegt darin ein grundlegender Unterschied zum Tier, das instinktiv veranlagt und gesteuert ist. Aber auch Menschen, deren Denken und Vernunft noch nicht entwickelt ist (Kinder) oder unterentwickelt (geistig Behinderte) oder abhanden gekommen ist (Unfall, Krankheit, Alter), sind und bleiben dennoch von Gott als sein Ebenbild ins Leben gerufene geliebte Menschen. Und der Mensch wird auch erkennen müssen, dass sein Denken und seine Vernunft an persönliche und auch an grundsätzliche Grenzen stoßen muss. Wir können letztlich nur in den irdischen drei Dimensionen denken und handeln. Alles Weitere ist uns verschlossen. Die Dimension Gottes ist für uns unerreichbar und undenkbar (1.Tim. 6, 16) und deshalb können wir auch Gottes Wesen und sein Handeln mit unserer Vernunft nicht ergründen. Aber aus Liebe hat uns Gott stückweise etwas von seinem Wesen und seinem Willen für uns offenbart und es uns mit der Bibel zuverlässig überliefert. Diese Offenbarung Gottes nun mit unserem Denken und unserer Vernunft in Frage zu stellen, ja, zu kritisieren oder gar verbessern zu wollen, das ist Hybris – Anmaßung, Hochmut und Selbstüberschätzung.
Viele „Verstandesmenschen“ sind der Überzeugung:
„Existent ist nur, was naturwissenschaftlich gemessen und nachgewiesen werden kann und / oder der gesetzmäßigen menschlichen (mathematischen) Logik und Erfahrung entspricht.“
Nach diesem Grundsatz wird Naturwissenschaft betrieben, aber schon bei den weltlichen Geisteswissenschaften wird der Satz fraglich. In der Philosophie, Soziologie, Psychologie und den Kunstwissenschaften hat man es durchaus mit Nichtmeßbarem, mit Geistigem, Emotionalem, mitunter mit Irrationalem zu tun. Der Theologie ist dieser Satz völlig konträr, denn sie befasst sich wesensmäßig gerade nicht schwerpunktmäßig mit der materiellen dreidimensionalen Welt, sondern mit der Offenbarung und dem Eingreifen Gottes aus seiner himmlischen Dimension in unsere Welt. Das schließt nicht aus, dass auch in der Theologie das Denken und die Vernunft ihren Stellenwert haben, aber sie werden sich nicht über Gottes Offenbarung und Wort erheben, sondern als eine vom Heiligen Geist erleuchtete Vernunft sich in den Dienst des Wortes Gottes stellen.
Zusammenfassend ist also festzustellen, dass die angeführten Sätze des Zeitgeistes durch ihren Absolutheitsanspruch, der die Grenzen der Offenbarung Gottes überschreitet, zu antichristlichen Aussagen werden.
Detlef Löhde
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