Vom Vorwurf der „Gesetzlichkeit“

Von | Oktober 4, 2024
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Wenn man sich auf Gottes Wort mit seinen Geboten und Ordnungen und auf die apostolischen Weisungen bezieht, dann wird einem oft entgegengehalten: „Das ist aber sehr gesetzlich! Wir müssen doch vom Evangelium her, von der Gnade und Erlösung Jesu her, die Bibel verstehen und danach glauben und leben.“ Dass das Evangelium unseres Herrn unseren Glauben und unser Leben bestimmen will und soll, wer wollte das bestreiten. Doch wann ist der Vorwurf der Gesetzlichkeit begründet?

Der Vorwurf der „Gesetzlichkeit“ ist berechtigt und als ernste Warnung angebracht, wenn vom strikten Einhalten eines oder aller Gebote die Seligkeit abhängig gemacht werden soll. „Nur wenn du dieses oder jenes Gebot beachtest, kannst du ins ewige Leben eingehen.“ Gegen diese falsche Sicht wendet sich der Apostel Paulus immer wieder ganz energisch: „Ihr seid nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade, Christus ist des Gesetzes Ende (Röm 6, 14; 10, 4). Christus hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, indem er den Fluch auf sich nahm; Gott hat seinen Sohn gesandt, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste und sie die Kindschaft empfingen“, (Gal 3, 13; 4, 15).

Aus Barmherzigkeit und Liebe hat uns Christus von der Strafe für den Verstoß gegen Gottes Gebote, von der Strafe für unsere Sünde, befreit – erlöst. Wir müssen uns nicht durch Erfüllung der Gebote die Seligkeit verdienen – wir könnten’s auch gar nicht. Jesus hat uns befreit von diesem Zwang des Gesetzes, von verdienter Strafe und Angst. Die Lutherische Reformation bekennt: Allein aus Gnade, allein durch den Glauben an Jesus und seinen Opfertod haben wir Vergebung der Sünden und werden wir selig – sola gratia – sola fide.

Das andere ist aber auch wahr: Jesus hat zwar die Strafe des Gesetzes, die Strafe für die Sünde, auf sich genommen, hat aber nicht das Gesetz als solches aufgehoben. Gottes Gebote bleiben bestehen, auch wenn wir sie nicht völlig erfüllen können. Wie Jesus spricht (Mt 5, 17): „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ Und Paulus schreibt, Röm 7, 12: „Das Gesetz ist heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut.“ Und, Röm 3,31: „Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.“ Denn aus dem Glauben wachsen Dank und Liebe zu Gott, dass wir nach besten Kräften seinem Willen und seinen Geboten nachkommen wollen. Nicht mehr gezwungener Maßen, sondern freiwillig und gern sind wir gehorsam und folgen Gottes Geboten und Ordnungen wie auch den Weisungen der bevollmächtigten Apostel Christi. Denn Gott weiß, was für uns gut ist.

Die lutherische Reformation spricht vom dreifachen Gebrauch des Gesetzes. Es soll die Menschen äußerlich in Zucht halten, soll uns zur Erkenntnis unserer Sünden dienen und soll uns gottgewollte fürsorgliche Lebensregel sein. In diesem dreifachen Sinn sind der christlichen Gemeinde Gottes Gebote zu predigen. Der Meinung der Antinomer (Gesetzesgegner), dass durch das Evangelium das Gesetz aufgehoben und es der Gemeinde nicht mehr zu predigen sei, widerspricht unser lutherisches Bekenntnis mit der Konkordienformel heftig (FC I. Pars. Epitome, Art. VI. – Vom dritten Brauch des Gesetzes). Christus hat uns nicht befreit und erlöst vom Anspruch des Gesetzes als solchem, sondern allein von dem Fluch des Gesetzes mit seiner gerechten Strafe.

Deshalb stehen im Großen und Kleinen Katechismus die Zehn Gebote mit Luthers Erklärungen. Und er beginnt jede Erklärung mit der Einleitung, dass wir Gott fürchten und lieben sollen. – Fürchten, dass wir nicht vorsätzlich und dauerhaft gegen Gottes Willen verstoßen und damit seinen Zorn und seine Strafe herausfordern. Und Gott lieben, dass wir als seine Kinder freiwillig und gern und ohne ein Schielen auf Belohnung, nach seinem Willen tun und leben. Wer sich in diesem Sinne auf Gottes Willen und Gebote bezieht und beruft, der ist keinesfalls gesetzlich, sondern er strebt nach gottgewollter Heiligung (1. Thess 4, 3 u.a.).

Deshalb ist es falsch, lieblos und grenzt an Verleumdung, jemandem schon Gesetzlichkeit vorzuwerfen, wenn er auf ein Gebot Gottes oder eine geistgewirkte apostolische Weisung hinweist. Doch die liberale schriftkritische Theologie flüchtet sich gern in diesen Vorwurf und nimmt für sich ein „gesetzfreies“ Evangelium in Anspruch. So als seien Gottes Gebote und Ordnungen mehr oder weniger durch das Evangelium überholt und die apostolischen Weisungen hätten nur zeitbedingte Geltung gehabt. Mit solchem (Fehl-) Verständnis der Heiligen Schrift und des Evangeliums fallen dann nahezu alle Beschränkungen hinsichtlich einer Anpassung an gesellschaftliche Maßstäbe und Normen. Dagegen mahnt und warnt der Apostel Petrus davor, die Freiheit des Evangeliums zum Deckmantel der Bosheit zu missbrauchen (1. Petr 2, 15.16). 

Anmerkung: Die Ausführungen behandeln nur einen Teilaspekt der Thematik von „Gesetz und Evangelium“. Dass Gottes Worte des Gesetzes und des Evangeliums zu unterscheiden, aber dabei in eine Beziehung zueinander zu setzen sind, ist Herzstück lutherischer Theologie. Luther bezeichnet es als höchste Kunst, in der sich jeder Prediger üben soll.


 Detlef Löhde, September 2024