Pfarrer Matthias Krieser i.R. hat nachfolgend einen zusammenfassenden Artikel über den Debattenstand und das weitere Verfahren zur Frage der Frauenordination verfasst. Der Artikel ist objektiv gehalten und nimmt bewusst keine Position ein. Er soll der Klarstellung und Information der Gemeinden dienen. InGO unterstützt und befürwortet die Intention, die Gemeindeglieder theologisch und über das Verfahren einer Entscheidung objektiv zu informieren. Davon unberührt bleibt unsere eindeutige Positionierung in der Ablehnung der Frauenordination.
Der Konflikt um die Frauenordination – Stand der Dinge
Der Allgemeine Pfarrkonvent (APK) der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche soll im Juni „zur Lehrfrage, ob eine Frau zum Amt der Kirche ordiniert werden kann,“ beraten und entscheiden, so hat es die Kirchenleitung im letzten September bekanntgegeben. Die nachfolgende Kirchensynode hat dann ggf. über eine entsprechende Vorlage zu befinden. Viele Glieder der Kirche warten dringend auf eine endgültige Klärung der Frage, weil sie die seit Jahrzehnten bestehenden Meinungsverschiedenheiten zunehmend als belastend und schädlich empfinden. Die Kontroverse um die Frauenordination gleicht, so scheint es, einer alten Wunde, die statt zu heilen immer schmerzhafter wird.
Da empfiehlt es sich, die Situation nüchtern und ohne Scheuklappen jeder Art zu betrachten. Worum geht es? Die Grundordnung der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) lehrt: „Das eine, von Christus gestiftete Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung kann nur ausüben, wer berufen und ordiniert ist. Dieses Amt kann nur Männern übertragen werden.“ (Art. 7) Einige in der SELK meinen: Unsere Grundordnung irrt hier und muss dahingehend geändert werden, dass auch die Ordination von Frauen möglich wird. Andere dagegen meinen: Unsere Grundordnung gibt zutreffend Gottes Willen wieder, der weiterhin verbindlich gilt.
Das Thema hat viele Nebenaspekte, aber letztlich geht es um die eine Frage: Will Gott nur Männer in diesem Amt haben oder nicht? Den Willen Gottes zu erkennen, zu achten und zu befolgen ist ja grundlegend wichtig und aller Mühe wert. Es gibt drei Antwort-Möglichkeiten: A eindeutig ja (das ist die offizielle Antwort der SELK mit ihrer Grundordnung); B eindeutig nein (so antworten manche Befürworter der Frauenordination); C das ist nicht eindeutig feststellbar (so antworten sowohl manche Verteidiger der Grundordnung als auch manche Befürworter der Frauenordination). Über die biblisch-theologische Begründung dieser Antworten wird seit Jahrzehnten gestritten, und es gibt eine unübersehbare Fülle von Stellungnahmen und Literatur dazu. Einmütigkeit herrscht bei uns jedoch in der Überzeugung, dass von der Bibel her argumentiert werden muss. Die SELK ist ja „gebunden an die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments als an das unfehlbare Wort Gottes, nach dem alle Lehren und Lehrer der Kirche beurteilt werden sollen“ (Art. 1, Abs. 2).
Hier ein kurzer Überblick über die Argumentation der drei Antwortmöglichkeiten: Die Antwort A (Ja, Gott will nur Männer in diesem Amt haben) wird so begründet: Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament erscheinen nur männliche Personen in Ämtern mit geistlicher Leitungsverantwortung (z. B. Priester, Apostel, Hirten, Lehrer, Älteste, Bischöfe). Das hängt damit zusammen, dass sie als Botschafter Gottes in Erscheinung treten, der sich in männlicher Weise offenbart hat (als Vater, König, Herr, Menschensohn, Gottessohn, Bräutigam usw.) Entsprechend weist der Apostel Paulus die christliche Gemeinde an, dass Frauen nicht zur öffentlichen Wortverkündigung zugelassen werden sollen, sondern sie sollen sich still und demütig den Männern, die die geistliche Leitungsverantwortung tragen, unterordnen (vgl. 1. Kor. 14,33b-34; 1. Tim. 2,11-12). Paulus begründet das u. a. mit der unumkehrbaren Beziehung zwischen Mann und Frau, die bereits für das erste Menschenpaar gegolten hat (vgl. 1. Mose 2,18; 3,16b; 1. Tim. 2,13-14) und die an anderen Stellen im Hinblick auf die Ehe betont wird (vgl. Eph. 5,22-24; 1. Petr. 3,1-6).
Die Antwort B (Nein, Gott will nicht nur Männer in diesem Amt haben) wird so begründet: Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament finden sich Beispiele für Frauen, die im Auftrag Gottes verkündigt haben (z. B. Prophetinnen und die Frauen beim leeren Grab am Ostermorgen). Das Evangelium von Jesus Christus, die Hauptbotschaft der Bibel, gilt ohne Unterschied sowohl für Männer als auch für Frauen. Menschen beiderlei Geschlechts sind demzufolge gleichrangige Glieder am Leib Christi, ebenso wie Menschen aus allen Völkern und Gesellschaftsschichten (vgl. Gal. 3,26-29). Davon ist abzuleiten, dass auch alle Christen ohne Unterschied sämtliche Ämter und Funktionen in der Kirche wahrnehmen können. Wenn an einigen Stellen der Bibel das Amt der öffentlichen Verkündigung Männern vorbehalten wird, dann geschah dies lediglich mit Rücksicht auf damalige gesellschaftliche Konventionen, die heute nicht mehr gelten. Eine zeitlos gültige Schöpfungsordnung, derzufolge sich Frauen den Männern unterordnen sollen, gibt es nicht. Vielmehr: Weil Mann und Frau gleichermaßen als Gottes Ebenbild geschaffen wurden (vgl. 1. Mose 1,27), müssen sie in jeder Hinsicht gleichberechtigt sein.
Die Antwort C (Es ist nicht eindeutig feststellbar, ob Gott nur Männer in diesem Amt haben will) kann zwei Gründe haben. Entweder jemand fühlt sich überfordert, die Argumente von A und B auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, und kann sich deshalb für keine Seite entscheiden. Oder jemand lässt beide Argumentationen gelten und muss dann zu dem Schluss kommen, dass die Bibel sich in der Frage widerspricht. Aufgrund dieser Ansicht wird dann z. B. gesagt, dass Texte des Paulus lediglich seine persönliche Meinung wiedergeben und nicht unbedingt den Willen Gottes. Die Antwort C hat zur Konsequenz, dass die Kirche ohne Rückbezug auf Gottes Willen in eigener Verantwortung entscheiden muss, wie sie sich in der Frage der Frauenordination verhält. Aus dieser Sicht ist die Frauenordination keine Lehrfrage, sondern nur eine Ordnungsfrage.
Die Einschätzungen gehen auch darüber auseinander, ob alle Argumente bereits hinreichend gründlich erörtert wurden. Und weil der Diskurs bisher kein klares Ergebnis gebracht hat, stellt sich zusätzlich die Frage: Woher kommt es, dass die Pfarrer sowie auch die theologisch interessierten Nichtordinierten in unserer Kirche uneinig bleiben, obwohl sie in derselben Weise an dieselbe Heilige Schrift gebunden sind? Einige meinen, es könnte lohnen, dieser tiefergreifenden Frage nachzugehen. Andere dagegen möchten den Diskurs möglichst schnell beenden, damit er die Kirche nicht noch mehr beschädigt oder lähmt. Ein starkes Motiv dafür, den Konflikt zu beenden, ist auch der Wille zum Erhalt der kirchlichen Einheit. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass nach dem Selbstverständnis der SELK die Einheit der Lehre eine zwingend notwendige Bedingung für die kirchliche Einheit darstellt. Kirchliche Gemeinschaft bei gleichzeitigem Lehrpluralismus soll es bei uns nicht geben. Wie kann es weitergehen?
Der „Atlas Frauenordination“ nennt dazu ein paar „mögliche Ansätze zur Weiterführung der Frage der Frauenordination in der SELK“ (S. 24). Diese sog. „Szenarien“ sind von der letzten Kirchensynode stark beachtet worden und haben sogar zur Bildung einer entsprechend bezeichneten Synodalkommission geführt. Die Szenarien-Kommission hat Voten aus den Gemeinden gesammelt und bereitet diese für die bevorstehenden gesamtkirchlichen Versammlungen auf. Unter einem Szenario bzw. Szenarium versteht man eine Abfolge von Szenen bzw. Ereignissen. Ein Szenario kann entweder aktiv gestaltet werden wie z. B. das Drehbuch für einen Film, oder es kann als mögliche Entwicklung realer Ereignisse passiv erwartet werden. Deshalb erhoffen manche Kirchglieder aktiv gestaltbare „Lösungsansätze“ von der Szenarien-Kommission, andere lediglich ein Bewusstmachen und Bedenken möglicher Entwicklungen.
Ein freudig überraschendes „Szenario“ wäre es, wenn der allmächtige Herr plötzlich Einmütigkeit schenkte und der Konflikt wie eine Seifenblase zerplatzte. Gott kann das durchaus tun und würde damit den Rahmen unserer menschlichen Erwartungen sprengen. Es ist aber ratsam, sich auch auf Szenarien ohne solch ein Wunder einzustellen. So ist damit zu rechnen, dass der bevorstehende APK über die bleibende Gültigkeit bzw. über eine Änderung des umstrittenen Artikels 7 der Grundordnung beschließen wird. Das ist allerdings in früheren Jahren bereits viermal geschehen (1997, 2001, 2009 und 2013). Jedesmal wurde die geltende Ordnung bestätigt, und die nachfolgenden Kirchensynoden schlossen sich diesen Entscheidungen an. Schon 1973 gab es einen entprechenden Antrag, der jedoch von der Kirchleitung nicht zugelassen wurde, „da dieser Antrag gegen die Lehre der Heiligen Schrift verstößt“ (s. Atlas Frauenordination, S. 27-28); diese Einschätzung wurde von der nachfolgenden Kirchensynode bestätigt. Um aus der Serie von Abstimmungen über immer dieselbe Frage keine Endlosschleife werden zu lassen, müsste ein weiterer Synodalbeschluss ausdrücklich als endgültig verstanden werden.
Ein mögliches Szenario wäre es, dass nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit für eine Grundordnungsänderung zustande kommt. Dann bliebe eine Ordination von Frauen weiterhin ausgeschlossen. Deren Befürworter müssten das entweder akzeptieren oder die Kirche verlassen. Falls eine Zweidrittelmehrheit zustande käme, würden wahrscheinlich etliche Verteidiger der heutigen Grundordnung diesen Beschluss anfechten. Ihre Begründung: „Beschlüsse, welche der Heiligen Schrift und dem Bekenntnis der Kirche widersprechen, sind ungültig“ (Grundordnung der SELK, aus Art. 25, Abs. 6). Die Kirchenleitung müsste über diesen Einspruch entscheiden. Falls sie dem Einspruch stattgibt, würde die Grundordnung weiter gelten wie bisher. Falls sie dem Einspruch nicht stattgibt, käme es zu einer Änderung; dann müssten die Verteidiger der bisherigen Grundordnung mit sich zu Rate gehen, ob sie das Urteil der Kirchenleitung akzeptieren oder nicht.
„Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl“, dichtete Paul Gerhardt 1653. Das gilt immer noch. So bleibt es entscheidend wichtig, dem Herrn der Kirche das vor uns liegende, noch unbekannte wirkliche „Szenario“ anzubefehlen, wie es mit diesem Konflikt weitergehen wird. Der Bischof, die Pröpste und die Kirchenräte der SELK schließen darum ihr Schreiben vom September mit den Worten: „Die Kirchenleitung ruft die Gemeinden zur persönlichen und gottesdienstlichen Fürbitte auf, die die Einheit der Kirche in der Wahrheit und in der Liebe zum Inhalt hat.“
Matthias Krieser