Immer wieder wird die Frage gestellt, ob und inwieweit die Kirche politische Stellungnahmen abgeben solle. Zu dieser Frage vertreten die verschiedenen Konfessionskirchen unterschiedliche Positionen. Die röm.-kath. Kirche vertritt ja seit dem 5. Jahrhundert auch einen politischen Machtanspruch, der dann im Rahmen der Säkularisierung auf ein Mitspracherecht und schließlich auf ein mitgestaltendes Anhörungsrecht reduziert werden musste. Die calvinisch-reformierte Kirche hat von ihrer Theologie und Geschichte her ein „Wächteramt“ über den Staat beansprucht. So ist sie bis heute politisch aktiv. Unter dem Eindruck der NS-Zeit hat diese reformierte Theologie auf die Theologie der EKD starken Einfluss genommen. So ist die EKD heute geprägt von einem starken politischen Aktivismus. Woher nimmt sie den Auftrag dazu? Woher nimmt die Kirche ihre besondere politische Expertise? Der politische Aktivismus der Kirchenleitungen führt zu einem politischen Bevormunden der Kirchglieder und zu einer politischen Spaltung in der Gemeinde. Das Evangelium ist aber allen Menschen, unabhängig von ihrer politischen Einstellung, zu verkündigen. Politik darf da dem Hörer nicht zum Hindernis für das Evangelium werden. Ja, es kann unter Christen, auch wenn für sie die Bibel der Maßstab ist, dennoch zu unterschiedlichen Bewertungen in politischen Fragen kommen.
Die ev.-luth. Bekenntnisschriften stellen fest, dass Staat und Kirche von Gott unterschiedliche Aufgaben und Vollmachten erhalten haben (CA 5, CA 16, CA 28). Dabei soll sich der Staat nicht in die Belange der Kirche und die Kirche sich nicht in die Belange des Staates einmischen. Mit dem Kommen Christi ist die Zeit der alttestamentlichen Theokratie ans Ende gelangt. Die Apostel und nachfolgend die Ältesten und Bischöfe sind berufen, das Evangelium zur Rettung der Menschen zu verkündigen und nicht Politik im Staat zu betreiben. Wie Jesus zu Pilatus spricht: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, Joh 18, 36). Das ist die sogenannte „Zwei-Reiche-Lehre“. Gott regiert die Welt auf zwei Weisen („Regimente“), durch den Staat und seine Amtsträger und durch die Kirche und ihre Amtsträger.
Wenn aber der Staat entgegen seines Auftrags versucht, auf die Kirche Einfluss zu nehmen, ja, ihr Vorgaben machen zu wollen, dann ist dem zu widerstehen. Auch wenn der Staat aufruft und auffordert, gegen das christliche Menschenbild zu reden und zu handeln, ist dies zu verweigern. Da haben die Kirchen zur NS-Zeit aus Anpassung und Furcht weitgehend versagt. Aufgrund von Drohungen haben es nur wenige gewagt, sich gegen die NS-Ideologie und das Regime zu äußern. Man hätte Gott mehr gehorchen müssen als den Menschen (Apg 4, 19), doch die menschliche Blindheit und Schwachheit obsiegte. Heute ist die Kirche gefordert, sich gegen die Ideologie der absoluten Selbstbestimmung für das Leben des ungeborenen Menschen einzusetzen.
Das christliche Menschenbild bezieht sich darauf, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist (1. Mose 1, 27), von daher bezieht er seine Würde. Wie es im Artikel 1 des Grundgesetzes heißt, „die Würde des Menschen ist unantastbar“. Die säkularen Menschenrechte kann man zwar als eine säkulare Ableitung vom christlichen Menschenbild verstehen, aber sie sind aus bewusst antiklerikalen Gedanken hervorgegangen, haben säkulare Gedanken von Bürgerrechten hinzugefügt und können naturgemäß nicht als durchgängig christlich bezeichnet werden. Zur Zeit wird propagiert, dass auch die Abtreibung ein Menschenrecht sei.
Wie das Verhältnis von Kirche und Staat missverstanden wird, zeigt der Synodalantrag 440 an die 15. Kirchensynode. Da werden einerseits mehr politische Stellungnahmen eingefordert und andererseits wird sich auf die „Zwei-Reiche-Lehre“ bezogen, welch ein Widerspruch. Gegen diesen Antrag 440 richtet sich der Gegenantrag „Kirche und Politik“.
Detlef Löhde, 17.7.2025
Der Gegenantrag „Kirche und Politik“ kann hier als pdf-Datei abgerufen werden.
Nachfolgend noch eine kurze Darstellung der Zwei-Reiche-Lehre ebenfalls als pdf-Datei.